Landleben ist schön, aber kein Ponyhof. So werdet ihr es mit bestehenden Strukturen, Vorurteile und Skepsis zu tun haben. Hier erfahrt ihr, wie ihr Fettnäpfchen umgeht, Unterstützer*innen gewinnt und vor Ort gut ankommt.

Was du über das Leben auf dem Land wissen solltest

Mit Freund*innen aufs Land ziehen – das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Und ganz so einfach ist es auch nicht, die Stadt hinter sich zu lassen und sich auf dem Land ein neues Leben aufzubauen. Nach der ersten Verliebtheitsphase in die neue Heimat werdet ihr auf bestehende Strukturen, Vorurteile und Skepsis treffen und ganz sicher auch den ein oder anderen Konflikt erleben. Wenn ihr etwas Ausdauer und Offenheit mitbringt, das Gespräch sucht und auch bereit seid, an euren eigenen Ansichten und Prinzipien zu arbeiten, kann sich euer Zukunftsort gut integrieren. Eine Regel schon mal vorab: Auf dem Land sagen Taten mehr als Worte. Also, packt mit an, engagiert euch für das Dorf, nutzt auch das, was es schon vor euch gab! Das macht das Ankommen und Aufgenommen werden viel leichter!

Der größte Irrtum ländlichen Gemeinden gegenüber ist, dass es dort nichts gibt.

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Grit Körmer / Regionalmanagerin

LAG Märkische Seen e.V.

Kurz gesagt

  • 1

    Schottet euch nicht ab, sondern geht offen auf die Anwohner*innen zu, weiht sie in eure Pläne bezieht sie mit ein, bittet sie um Hilfe und engagiert euch vor Ort und in der Region.

  • 2

    Lasst die üblichen Vorurteile über Dörfler*innen hinter euch und begegnet den Menschen offen und auf Augenhöhe.

  • 3

    Scheut euch nicht vor Konflikten, denn durch Reibung entsteht Entwicklung.

  • Was unterscheidet das Leben auf dem Land von dem in der Stadt?

    Überall lässt sich gerade lesen: Countryside is hip. Alle wollen plötzlich raus. Auch abseits der ganz großen Metropolen scheint dieser Trend Fahrt aufzunehmen. Die Pandemie hat dieser Entwicklung einen enormen Schub verliehen. Die Klimakrise und die immer voller werdenden Städte mit ihren horrenden Mieten tun ihr Übriges dazu. Diese Dynamik wird oft mit einem Pendel verglichen, das zwischen Stadt und Land schwingt. Preise für Land und Immobilien rund um Großstädte steigen seit ein paar Jahren kräftig und die 1A-Lagen oder pittoresken Höfe sind längst vergeben.

    Veranstaltungen auf Gut Ziegenberg und Hof Prädikow. An beiden Orten treffen unterschiedliche Menschen und Erfahrungen aufeinander. - Foto: Jana Dünnhaupt
    Veranstaltungen auf Gut Ziegenberg und Hof Prädikow. An beiden Orten treffen unterschiedliche Menschen und Erfahrungen aufeinander.  | Foto: Jana Dünnhaupt
     - Foto: Jörg Gläscher
     | Foto: Jörg Gläscher

    JWD – janz weit draußen – oder um und in kleineren Städten finden sich vielleicht noch Schnäppchen. Das ist keineswegs ein neues Phänomen. Immer wieder in der Geschichte wurde das vermeintlich weite Land abseits der urbanen Zentren zum Sehnsuchtsort und Raum für Experimente und Innovation. Schon in der industriellen Revolution flohen Menschen aus den dreckigen Städten und suchten nach dem gesunden Leben abseits der Städte. Als sozialistische Gesellschaftsutopien gründeten sie zum Beispiel Gartenstädte. Auf dem Monte Vérita in der Schweiz waren es die lebensreformerischen Bohémians und Künstler*innen, die in der Abgeschiedenheit der Natur einen intellektuellen und naturverbundenen Lifestyle lebten und Vorbild für andere Gruppen wurden. In Deutschland kam es zuletzt in den 70ern und 80ern zu einer größeren Bewegung dieser Art im Zuge der Anti-Atom- und Ökologiebewegung. Der Vibe dieser Zeit ist bis heute im Wendland zu spüren, wo sich in der Peripherie der alten Bundesrepublik eine ganz eigene Mischung aus Aktivist*innen niedergelassen hat. Dazu kommen natürlich die klassischen Suburbaniserungsprozesse mit dem Häuschen im Grünen, allerdings meist ohne gesellschaftspolitische Agenda.

    Sehnsüchte und Realitäten

    Mit den Sehnsüchten ist das so eine Sache. Die Vorstellung vom Land und vom Leben auf dem Land scheint im Moment mit einem rosaroten Filter belegt. Aber auch wenn man es sich in seiner Blase auf dem Land gemütlich machen kann, begebt ihr euch meist auf unbekanntes Terrain, in eine Welt mit etwas anderen Regeln und Codes.

    Wir müssen die gegenseitigen Vorbehalte ein Stück weit aushalten und die Dinge fließen lassen.

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    Grit Körmer / Regionalmanagerin

    LAG Märkische Seen e.V.

    Ganz allgemein lässt sich sagen, dass auf dem Dorf eine höhere Sozialkontrolle herrscht. Man bekommt viel voneinander mit und weiß daher auch viel voneinander. Das sind auch die klassischen Bilder vom Dorfleben: Der wohlwollende Blick über den Gartenzaun, das Kissen auf der Fensterbank zur Dorfstraße, das Tratschen übereinander. Auf dem Dorf wird man Teil einer Gemeinschaft, ob man will oder nicht. Das bringt natürlich auch Vorteile - zur Kontrolle kommt Verbindlichkeit. Auf dem Land unterstützt man sich seit jeher sehr viel stärker, nicht nur während der Ernte – und da vor Ort nicht alle Angebote oder Infrastrukturen zur Verfügung stehen, ist man auf die Hilfe der Nachbar*innen angewiesen. Außerdem finden Überheblichkeiten und Attitüden in Dorfgemeinschaften nur wenig Raum und wer offen für Andere und Anderes ist, wird auch offen empfangen.

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    Nicole Müller, heimatHOF Gut Ziegenberg

    Wir sind hier aufgewachsen und sehr stark vernetzt - das ist unser großer Vorteil.

     - Photo: Eric Birnbaum

    Integration in Drei Akten

    Euphorie, Ernüchterung, Versöhnung - diese drei Phasen durchleben die meisten Projekte in ihrer Entstehung. 

    Der Integrationsprozess

    Mit Gegenwind umgehen?!

    Die schlechte Nachricht zuerst: Es wird immer Gerede geben und nicht alle werden mit allem einverstanden sein, was ihr auf eurem Zukunftsort plant. 

    Aber: auch ein Dorf hat oftmals verschiedene Gruppen, die zum Teil auch nicht miteinander reden. Auf den Dörfern sind die Geschichte und die Konflikte der letzten Generationen viel präsenter als in der Stadt. Das trifft erst recht auf den Osten Deutschlands zu, wo sich die Machtverhältnisse durch die politischen Veränderungen mehrmals umgedreht haben. Daher gibt es fast immer zerstrittene Gruppen, tiefe Gräben und ungelöste Konflikte. Diese Verschiedenartigkeit muss man aushalten und im besten Falle zu schätzen lernen. Von daher gehört zum Ankommen auch das Einfühlen: welche Konflikte haben wirklich mit euch zu tun und welche mit “alten Geschichten”.

    Über solche Konflikte entsteht Reibung und daraus oft Entwicklung. Auch das Zusammentreffen städtischer und ländlicher Lebensweisen, Werte und Ziele ist nicht immer reibungslos. Es hilft, Vermittler*innen im Dorf für sich zu gewinnen, die ein Verständnis und eine Offenheit für beide Seiten haben.

    Es ist super wichtig von Anfang an offen zu sein und z.B. Tage der offenen Tür zu veranstalten.

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    Cordelia Polinna / Geschäftsführerin

    Forward Berlin

    Meist sind Ängste die Ursache von Widerständen und daraus entstehenden Konflikten – egal ob innerhalb eurer Gruppe oder bei den Anwohner*innen. Wer die Ursache versteht, kann besser auf Widerständen reagieren. Hört euch die Bedenken der Dorfbewohner*innen an – welche Befürchtungen haben sie eurem Projekt gegenüber? Sind diese berechtigt oder lassen sie sich durch eine transparente und aufrichtige Darstellung eurer Ideen nach und nach ausräumen? Und macht euch klar: auch bei euch gibt es sicher die ein oder anderen Vorbehalte gegenüber den künftigen Nachbarn in Bezug auf ihre Vorlieben, Lebens- und Konsumweise, ihre Themen und Umgangsformen. Also seht die Annäherung als Prozess, in dem stetiger Austausch und konkretes Machen wichtige Bausteine für wachsendes gegenseitiges Verständnis sind.

    Viele Missverständnisse entstehen durch falsche Erwartungen aneinander. Ihr habt mit dem Aufbau eures Zukunftsortes alle Hände voll zu tun und seid viel mit euch selbst beschäftigt. Viele im Dorf erwarten aber ggf., dass ihr euch als Neue direkt einbringt und überall mit anpackt. Das ist aber allein schon aus logistischen Gründen nicht immer möglich. Denn in dieser Phase verbringt ihr womöglich noch einen Teil eures Alltags in der Stadt, habt vielleicht noch einen Hauptjob dort. Aufs Land fahrt ihr nur am Wochenende, seid also nicht immer da, wenn das Dorf euch braucht. Auch dagegen hilft, einfach mal ins Gespräch darüber zu kommen, Dorfbewohner*innen von eurer Situation zu erzählen und ein gegenseitiges Verständnis füreinander zu schaffen.

    Um mehr zueinander zu finden und Probleme zu lösen, kann es helfen, die eigenen Prinzipien zu hinterfragen. War der ursprüngliche Plan mit dem Doppelleben zwischen Stadt und Land ausreichend ausgeklügelt? Hilft es, wenn ihr euch voll ins Dorf stürzt und dort präsenter seid? Lässt es sich von dort aus remote arbeiten, wenn das bei euren Jobs möglich ist? Schaut euch die Dorfschule an, vielleicht könnte sich dein Kind hier ja doch ganz wohlfühlen?

    Es gibt kein Recht auf keine Veränderung. Das Dorf hat sich immer verändert, das ist ganz normal. Ich glaube, man muss das gar nicht so hoch stilisieren.

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    Frederik Bewer / Bürgermeister

    Stadt Angermünde

    Expert*innen zum Thema

    Folgende Personen haben bei diesem Beitrag mitgewirkt und teilen gern Ihre Erfahrungen rund um Stadt-Land-Integration im Netzwerk Zukunftsorte.

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    Nicole Müller

    Gründerin

    heimatHOF Gut Ziegenberg
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    Niklas Fanelsa

    Architekt & Gründer

    Atelier Fanelsa
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    Grit Körmer

    Regionalmanagerin

    LAG Märkische Seen e.V.

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    Cordelia Polinna

    Geschäftsführerin

    Forward Berlin
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    Julia Paaß

    Gründerin / Netzwerk

    Hof Prädikow